Seemannschaft: Warum die Segel immer angeschlagen sein sollten
Ein Seenotrettungsfall der DGzRS vor Borkum zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht nur auf den Motor zu verlassen
Es hätte schlimmer ausgehen können: Am frühen Morgen des 12. Juni 2021 erreichte die Seenotleitung „Bremen Rescue“ der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ein Notruf. Ein Segler, der sich nördlich vor Borkum befand, war aufgrund eines Maschinenausfalls manövrierunfähig. Mit seinem sieben Meter langen Segelboot befand er sich auf einem Überführungstörn in die Niederlande, als sein Motor plötzlich streikte. Besonders die durchgegebene Position des Seglers war gefährlich: er befand sich in der Nähe des stark befahrenen Verkehrstrennungsgebietes (VTG) und aufgrund seiner Position und der Richtung der auf der Nordsee starken Tide, drohte das Boot in das stark befahrene VTG abzutreiben. Verkehrstrennungsgebiete sind ähnlich wie Autobahnen, mit getrennten Spuren für verschiedene Fahrtrichtungen. Die dort fahrende Großschifffahrt ist kaum in der Lage, kurzfristig auftauchenden Hindernissen auszuweichen. Sportboote müssen sich dort an verschiedene Befahrensregeln halten.
Ins Verkehrstrennungsgebiet abgetrieben
Nachdem der Seenotrettungskreuzer Hamburg der DGzRS-Station Borkum auslief, meldete das Versorgungsschiff eines Offshore-Windparks Sichtkontakt zu dem manövrierunfähigen Segelboot. Die Befürchtung der Seenotretter bewahrheitete sich: zu diesem Zeitpunkt trieb es bereits im VTG – eine sehr gefährliche Situation. Rund eine Stunde nach dem Notruf erreichte der Seenotrettungskreuzer den Havaristen, stellten eine Leinenverbindung her Schleppleine und konnten ihn in langsamer Fahrt zum Hafen Borkum schleppen.
Der Segler hatte – und das ist bei diesem Seenotfall ein entscheidender Faktor – keinerlei Segel angebracht. Nach dem Maschinenausfall gab es also für den Skipper keine Möglichkeit, das Schiff weiterhin zu manövrieren und sich vom VTG freizuhalten, bis Rettung da ist.
Nie ohne Segel ablegen
Immer wieder – vor allem bei Überführungstörns am Anfang und Ende der Saison – sind Segelboote und Yachten zu beobachten, die ohne Segel unterwegs sind. Oft liegen sie noch winterfest verpackt unter Deck oder gar zu Hause oder sind bereits für das Winterlager verstaut. Kommt es dann zu einem Maschinenschaden, besteht keine Chance mehr, das Schiff zu kontrollieren oder zu manövrieren. Daher – und das ist die Erkenntnis aus dem genannten Fall – sollte nie abgelegt werden, ohne sofort einsatzfähige Segel angeschlagen zu haben. Auch wenn nur die kurze Fahrt über ein paar Seemeilen zum Winterlager ansteht, müssen Groß und Fock bzw. Genua stets bereit und alle Fallen und Schoten klar sein, denn im Notfall kann unter Segeln noch weiter gefahren werden oder sich von Gefahren wie Untiefen oder eben stark befahrene Gebiete freigehalten werden. Auch kann je nach Situation eine Gefahr für Leib und Leben durch Beiliegen vermieden werden.
Ausrüstung muss immer bereit stehen
Neben einer Besegelung sollte auch der Anker immer einsatzbereit sein – das gilt auch für Motorboote. Denn gerade in strömungsintensiven Fahrtgebieten oder bei starkem Wind kann ein Anker dabei helfen, ein Abtreiben in eine gefährliche Situation zu vermeiden. Zur Not wird das Boot dann einfach so lange mit dem Anker „geparkt“, bis Hilfe da ist. In Situationen, in denen ein sicheres Liegen unter Anker nicht möglich ist, kann ein Treibanker oder ausgebrachte Taue helfen, das Boot zumindest in einer besseren Richtung zur Welle zu halten und das Vertreiben erheblich zu verlangsamen.
Ohne Sicherheitsausrüstung wie Signalmittel, Rettungswesten etc. loszufahren, kann dazu führen, dass Notsituationen noch gefährlicher werden. Egal, wie kurz der Törn auch ist und auch nach einer langen Saison, in der das Boot technisch immer einwandfrei funktionierte – niemand ist davor sicher, dass nicht eben doch technische Probleme völlig unvermittelt eintreten. Daher sollte die Ausrüstung auch bei kurzen Schlägen so klar gemacht werden, als würde man auf eine längere Tour gehen.