Wassersportbranche: Gemischte Gefühle trotz Boom
Auf dem traditionell im Rahmen der Bootsmesse „Interboot“ in Friedrichshafen stattfindenden Branchengespräch zogen die Teilnehmer ein gemischtes Fazit.
Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine und der damit einhergehenden steigenden Inflation haben viele Branchenkenner mit einem Rückgang der Umsätze rund um den Bootssport gerechnet. 2020 und 2021 entwickelten sich wegen der Corona-Pandemie zu einem echten Boom und einem spürbaren Run auf Boote und Zubehör. Wegen der Reisebeschränkungen suchten viele Menschen das Wasser als Urlaubsmöglichkeit – die Auftragsbücher waren voll, viele Lieferslots schnell ausverkauft und die Preise für gebrauchte Boote und Yachten stiegen überdurchschnittlich an.
Ungebremster Run auf Boote
Es wäre daher wohl keine große Überraschung gewesen, wenn durch die Inflation und die derzeitig unsichere Lage sowohl die Stimmung als auch die Umsätze der Branche sinken würden. Umso erstaunlicher ist das Fazit, welches die Teilnehmer der diesjährigen Branchengesprächs auf der Friedrichshafener Wassersport- und Bootsmesse „Interboot“ zogen: „Die Auslastung der Betriebe sei durch eine anhaltend gute Nachfrage bis weit ins nächste Jahr ausgezeichnet“, so die Zusammenfassung des Austausches.
„Die Menschen gehen aktiv aufs Wasser, nutzen ihre Wasserfahrzeuge intensiv und brauchen dadurch Ersatzteile, verbessertes Zubehör oder wollen gleich ein neues Boot“ (Sonja Meichle, Ultramarin)
Marcus Schlichting (Bavaria Yachtbau, Giebelstadt) spricht von einer 30-prozentigen Steigerung der Produktion im Vergleich zum Vorjahr für das im Juli abgeschlossene Geschäftsjahr 2021/22, die Weft habe mehr als 600 Boote verkauft. Ein ähnliches Ergebnis des Konjunkturbarometers vermeldet auch Karsten Stahlhut, Geschäftsführer des Bundesverbands Wassersportwirtschaft (BVWW), im ersten Halbjahr 2022: „Die Branche wiederholt voraussichtlich das Ergebnis des Rekordjahres 2021.
Kleine Boote mau, Luxussegment wächst
Die Auswirkungen der Folgen der Energiekrise und Inflation sind allerdings dennoch zu spüren. Meik Lessig, Geschäftsführer von Enjoy Yachting, beschreibt die Lage so: „Während die kauffreudigen Eigner von Zwölf-Meter-Yachten und darüber von Krisengejammer nichts mehr hören können, ist das Butter- und Brotgeschäft bei kleineren Einheiten schon zäher geworden.“ Daniel Kallenbrunn, CEO bei der Schweizer KIBAG Marina aus Bäch, geht davon aus, dass am Hobby zuallerletzt gespart werde. „Manche kratzen jeden Rappen fürs Bootsfahren zusammen und kaufen eher weniger Alltags- oder andere Luxusgüter.“ Sein Unternehmen habe bei allen Herstellern auch für 2023 kräftig vorbestellt und kann noch fast jedes Modell in der nächsten Saison liefern, wenn es auf der Interboot bestellt und bis Oktober konfiguriert wird.
Zu schaffen mache der Branche vor allem die teilweise katastrophale Situation bei den Lieferketten. Diese waren bereits während der Corona-Lockdowns in China stark negativ beeinflusst, kommen nun aber stellenweise durch den Urkaine-Krieg völlig zum Erliegen. Zwar würde die Branche reagieren, in dem sie neue Lieferanten sucht, allerdings müsse sich erst noch zeigen, ob die Qualitätsansprüche erfüllt werden.
Fehlten letztes Jahr um diese Zeit vor allem Motoren in allen Klassen, fehlt nun neuerdings eigentlich alles, was man zum Boote bauen benötigt. Ob Klampen, Scheiben, Beschläge, Elektrobauteile, Heizungen, die Liste kann man gefühlt unendlich weiterschreiben. (Karsten Stahlhut, BVWW)
Ausblick für das kommende Jahr eher verhalten
Trotz der guten Auftragslage blickt die Branche verhalten in das kommende Jahr. Karsten Stahlhut vom BVWW analysiert, die Hemmschuhe der Marktsituation seien neben dem generellen Fachkräftemangel der fortlaufende Arbeitsausfall durch Corona und die noch stärker unterbrochenen Lieferketten durch den Ukrainekrieg und Lockdowns in China sowie Preisexplosionen bei Rohstoffen, Materialien, Strom und Gas. „Der Ausblick ist verhaltener, die Euphorie ist verflogen“, berichtet Stahlhut über die Ergebnisse einer Umfrage bei den Mitgliedern des Bundesverbands Wassersportwirtschaft. Sonja Meichle, Geschäftsführerin von Ultramarin/ Meichle+Mohr, beschreibt in ihrer Analyse sehr gut, wie die Erwartungen trotz derzeit guter Lage sind. Ihr Unternehmen habe zwar einerseits einen „Supersommer“ hingelegt, andererseits erwartet auch sie ein schwierigeres 2023. Die ersten Messetage spiegelten den bisherigen Saisonverlauf Laut Meichle wider. Teils bis zu acht-malige Preiserhöhungen seit Jahresbeginn konnten gar nicht immer 1:1 an die Endverbraucher weitergegeben werden. „Das tat dem Umsatz bisher keinen Abbruch, dennoch sind wir vorsichtig, denn einen nicht enden wollenden Zuwachs kann es kaum geben“, betont Sonja Meichle.