Radar und AIS in der Sportschifffahrt: Vorteile, Nachteile und Tipps zur Benutzung
Moderne Systeme zur Kollisionsverhütung
Sowohl Sport- als auch die Berufsschifffahrt profitieren von der stetigen Weiterentwicklung moderner Systeme zur Kollisionsverhütung und zur sicheren Navigation. Radarsysteme und/oder AIS gehört heute auf nahezu jeder Fahrtenyacht zum Standard und auch auf vielen kleineren Booten finden sich AIS oder Radar. Bei schlechter Sicht wie Nebel oder bei Fahrten in der Nacht helfen Radar und AIS, andere Verkehrsteilnehmer und Objekte zu orten und sichtbar zu machen. Beide Systeme unterscheiden sich allerdings grundlegend voneinander und haben sowohl Vor- als auch Nachteile. Wir vergleichen AIS und Radar miteinander.
Wie Radar funktioniert
Radar ist die Abkürzung von „Radio Detection And Ranging“. Übersetzt bedeutet das so viel wie „funkunterstützte Ortung und Abstandsbestimmung“ oder einfacher ausgedrückt:„mit Funk entdecken und messen“. Radargeräte senden elektromagnetische Radiowellen aus und machen Hindernisse, Tonnen, Schiffe und andere Objekte sichtbar, die diese Wellen reflektieren. Radar funktioniert im Prinzip ähnlich wie ein Echolot, nur über Wasser.
Radarsysteme wurden ständig weiterentwickelt und so finden sich viele Radaranlagen auf dem Markt, die sich mittlerweile auch für Segeljachten ab 30 Fuß eignen. Moderne Radaranlagen lassen sich in ein NMEA-Bordnetz integrieren und mit bereits vorhandenen Geräten, wie zum Beispiel einem Kartenplotter/Multifunktionsdisplay kombinieren.
Radaranlagen gehören auch zur Ausstattung auf vielen Charterschiffen.
Moderne Radarsysteme lassen sich auch über WLAN verbinden ©www.raymarine.de
Wie AIS funktioniert
AIS ist die Abkürzung von „Automatic Identification System“ (automatisches Identifikationssystem). Bei diesem System werden die Daten von Schiffen und Sportbooten untereinander ausgetauscht. Auf einem Kartenplotter können mit AIS andere Schiffe, Jachten und Boote dargestellt werden, deren Position, Geschwindigkeit, Fahrtrichtung und auch der Schiffsname und die MMSI-Nummer.
AIS ist ein relativ junges System, welches am 6. Dezember 2000 von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO als verbindlicher Standard aufgenommen wurde. AIS kann aktiv als auch passiv betrieben werden. Passives AIS sendet selbst keine Signale, sondern kann nur empfangen. Für andere Schiffe ist ein passives AIS nicht sichtbar. Deshalb gilt es auch als Identifikationssystem und nicht zur Kollisionsverhütung.
Um eine frühzeitige Warnung vor der Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes zu erhalten, muss eine vorhandene und betriebsfähige Radaranlage gehörig gebraucht werden, und zwar einschließlich der Anwendung der großen Entfernungsbereiche, des Plottens oder eines gleichwertig systematischen Verfahrens zur Überwachung georteter Objekte. (Kollisionsverhütungsregeln, KVR Regel 7, b)
Vor- und Nachteile Radar
Michael Grossmann, Segel-Ausbilder und Radar-Experte der Münchner Segelakademie „Jojo“, bezeichnet den größten Vorteil von Radar darin, dass es sich um ein Echtzeitsystem handelt. „Im Gegensatz zu AIS besteht bei Radar nicht die Gefahr, andere Schiffe übersehen zu können, weil sie kein Signal senden“, erklärt der Bootsausbilder. Radar kann dazu nicht nur andere Schiffe orten, sondern auch weitere Objekte in einem bestimmten Umkreis. Tonnen, Felsen, Inseln, sogar Dalben und Fahrwasser werden mit modernen Radaranlagen hochauflösend dargestellt. Außerdem ist es möglich, mithilfe von einer Radarpeilung auch Standorte und Positionen zu bestimmen.
Der größte Unterschied zu AIS besteht darin, dass die Ortung und Identifikation nicht von externen Signalen abhängt. Gerade in stark befahrenen Gebieten spielt ein Radarsystem seine Vorteile aus, weil es alle anderen Schiffe zuverlässig ausmacht. AIS hingegen erkennt nur Schiffe, die selbst ein AIS Signal senden. Laut KVR-Regel 7 (siehe oben) ist die Benutzung von Radar sogar vorgeschrieben, wenn ein entsprechendes System an Bord ist.
Moderne Radarsysteme sind nicht nur in der Lage, Objekte zu orten, sondern auch ihre Bewegungsrichtung zu erkennen. Die MARPA-Technologie (Mini Automatic Radar Plotting Aid) ermöglicht die Erfassung von Kurs und Geschwindigkeit und kann vor drohenden Kollisionen warnen.
Nachteile: Radaranlagen sind in der Hardware größer als AIS-Geräte, benötigen also entsprechend Platz für die Montage. Außerdem sind Radaranlagen in der Anschaffung wesentlich teurer als AIS. Es gibt aber mittlerweile sehr platzsparende und günstigere Radarsysteme, die man laut Michael Grossmann „auch auf Booten um die 28 Fuß installieren kann“. Doppler-Radare sind beispielweise leicht, klein und benötigen weniger Strom als Impulsradar-Geräte.
So umfangreich die Möglichkeiten sind – so schwerfällt vielen Nutzern die Bedienung von Radaranlagen. Michael Grossman weiß aus seiner Praxis zu berichten: „Viele Skipper haben zwar Radar an Bord, wissen aber gar nicht richtig damit umzugehen. Radar ist komplex, Funktionen und Bedienung vielfältig und die Kenntnisse darüber sollten am besten in einem Lehrgang erworben werden. Bei der Ausbildung in der Berufsschifffahrt stehen Radargeräte auf dem Lehrplan. Wenn man weiß, wie es geht, sind die Möglichkeiten riesig.“
Bild: Radar-Overlay auf Plotter-Seekarte. ©www.raymarine.de
Vor- und Nachteile AIS
Der bedeutungsvollste Vorteil von AIS ist, dass es denkbar einfach funktioniert und keine Ausbildung erfordert. Moderne AIS-Geräte sind ein klassischer Fall von „Plug-and-Play“ – ohne große Vorkenntnis werden andere Schiffe auf einem Kartenplotter als Symbole angezeigt. Außerdem sind AIS Empfänger und Sender vergleichsweise günstig zu haben. AIS lässt sich auch ohne GPS Empfänger und Funkantenne online über Apps wie zum Beispiel Vesselfinder nutzen – eine Internetverbindung vorausgesetzt.
AIS kann außerdem etwas, wozu Radaranlagen nicht fähig sind, nämlich – wie es Michael Grossmann ausdrückt – dass sie „auch hinter den Berg schauen können.“ AIS Signale werden nicht von anderen Hindernissen überlagert oder abgedeckt, sodass ein weitreichender Überblick entsteht.
Allerdings hat AIS auch erhebliche Nachteile: Als Erstes sei genannt, dass nur die Objekte angezeigt werden können, die selbst AIS Signale aussenden. Bei schlechter Sicht, wie zum Beispiel dichtem Nebel, werden Fahrzeuge ohne AIS nicht erfasst und können leicht übersehen werden. AIS lässt sich auch jederzeit ausschalten – immer wieder wird zum Beispiel von Fischerbooten berichtet, die keine Signale aussenden, um ihre Fanggründe nicht zu verraten. Grossmann verrät einen weiteren Nachteil: „AIS ist im Gegensatz zu Radar kein Echtzeitsystem. Daher kann man nie sicher sein, wann das letzte Signal eines anderen Schiffes ausgesendet wurde. Bei einer Sendepause von ein paar Minuten ist ein anderes Schiff dann schon woanders als auf der Karte dargestellt.“
AIS wird in verschiedene Klassen eingestuft: Für die Sportschifffahrt kommen sogenannte Class-B Geräte zum Einsatz. Die Signale können bei Bedarf von den Class-A-AIS Anlagen der Großschifffahrt ausgeblendet werden. In der Praxis kommt dieses zur Anwendung, wenn zu viele Fahrzeuge zusammen in einem kleinen Gebiet, wie zum Beispiel einem stark frequentierten Fahrwasser, zusammentreffen. In diesem Falle spricht man auch vom „Traffic Overflow“. Um bei sehr hohem Verkehrsaufkommen die Übersicht zu behalten, ist es beim Class-A AIS deshalb möglich, alle Class-B-Signale herauszufiltern. Sportbootfahrer unterliegen dann häufig der trügerischen und in diesem Falle falschen Annahme, dass sie zum Beispiel von großen Frachtern über AIS gesehen werden.
Fazit
Oft scheiden sich die Geister, welches System das Bessere zur Kollisionsverhütung ist. Dabei ist eine „Entweder-oder-Haltung“ gar nicht erforderlich, denn es lassen sich AIS und Radar an Bord hervorragend kombinieren, um einen noch besseren Eindruck von der Umgebung, von Hindernissen und dem Schiffsverkehr zu bekommen. Sich ausschließlich auf AIS zu verlassen, kann jedoch gefährliche Folgen haben. In der Türkei wird derzeit über eine Ausrüstungspflicht diskutiert. Solange aber nicht jedes Wasserfahrzeug AIS-Signale sendet, werden nicht alle anderen Verkehrsteilnehmer auf dem Wasser erfasst, was gerade bei schlechter Sicht zu Kollisionen führen kann, wenn sich einzig auf AIS verlassen wird.
Radar hingegen ist das zuverlässigere System, auch weil es in Echtzeitdarstellung Objekte wie Schiffe, Felsen, Hindernisse und auch Gewitterfronten orten kann. Die Zuverlässigkeit hängt allerdings auch stark von den Kenntnissen und der richtigen Bedienung ab. Ein Radarbild zu lesen und zu verstehen, erfordert entsprechendes Wissen. Ungeübte kommen nicht wie bei AIS sofort mit der Technik klar. Michael Grossmann bietet gemeinsam mit JoJo Wassersport spezielle Radarseminare (Webinar) an, mit einer Simulationssoftware, die jeder Teilnehmer auch nach dem Lehrgang nutzen kann, um die erworbenen Kenntnisse auch zwischendurch immer wieder aufzufrischen. Das nächste Online-Seminar findet vom 21.-22.1.2023 statt. Es gibt laut Grossmann noch freie Plätze.