Nachhaltigkeit in der Blue Economy: Expertengespräch in ADAC Stützpunktmarina
Um mehr Nachhaltigkeit in der sogenannten „Blue Economy“ ging es kürzlich bei einem Expertengespräch in der ADAC Stützpunktmarina Sant’Andrea an der Nordadria.
In der ADAC Stützpunktmarina Sant’Andrea in San Giorgio di Nogaro fand am 5.10.2024 zusammen mit dem Gründer und Koordinator der Blue Marina Awards, Walter Vassallo, eine Expertenrunde für mehr Nachhaltigkeit in der Blue Economy statt. Unter Blue Economy versteht man das Business derer, die am und mit dem Meer arbeiten, wie es Marinas, Yachtdesigner oder auch Hersteller von Schwimmstegen oder Stromsäulen tun.
Tatsächlich waren Nachhaltigkeit und Innovation nur zwei der Themen, die an diesem Tag in der Marina Sant’Andrea zur Sprache kamen. Es ging auch um die Dimension, die Marinas in ihren Regionen als Mittler zum Landtourismus einnehmen, und wie der Tourismus, ebenso wie Marinas von den Bemühungen um Nachhaltigkeit profitieren können. Ein weiteres Thema war die Inklusion: Kleine Schritte, die es Menschen mit körperlichen Einschränkungen erlauben, das Meer zu erleben.
Ein großes Programm also, das die rund 100 Gäste der Marina aus allen Bereichen der Blue Economy erwartete. Neben Regionalpolitik und Küstenwache, Interessenverbänden wie ASSONAUTICA und ASSOMARINAS und FVG Marinas, dem Netzwerk der Sportboothäfen Friaul-Julisch Venetiens, stellten unter anderem mehrere Unternehmen Produkte und Leistungen vor, die Leuchttürme der Innovation im Zeichen der Blue Economy sind.
Startups als Innovationstreiber
Zu den anwesenden Unternehmen zählten auch einige Startups, wie Akka2o Green Projects. Wer kennt nicht das Problem, wie schnell ein Tropfen Öl ins Wasser fällt und dort Hunderte Liter Wasser verseucht. Umso schlimmer, wenn dies in Tankanlagen oder Häfen in großer Dimension passiert. Das vom jungen Unternehmen Akka2o Green Projects entwickelte innovative, umweltfreundliche Mittel baut Kohlenwasserstoffe auf molekularer Ebene ab, indem es Bakterien der Umgebung aktiviert und nebenbei biologisch abbaubar und ungiftig ist. Verschmutzungen wie Öl müssen damit nicht wie bisher mühevoll durch Eindämmung und Absaugung entfernt werden, sondern das Mittel dynamisiert den natürlichen Abbauprozess auf wenige Tage oder Monate. Eingesetzt wird es bei Ölunfällen und zur Reinigung etwa in Häfen oder sogar in Brauereien.
Segelboote gelten als umweltfreundlich, da vom Wind angetrieben. Vergessen wird häufig, dass die Materialien, mit denen sie gebaut werden dies nicht unbedingt sind und das Recycling alles andere als einfach ist. Die Werft Beneteau mit Michelangelo Casadei sprach über diese Herausforderungen beim Bau von Yachten bei gleichzeitig gestiegenen Kundenanforderungen. Für Segler überaus interessant ist das StartUp Northern Light Composites (nlcomp®) mit ihrem Daysailer Ecoracer. Die auf der Basis einer nachhaltigeren Alternative zu herkömmlichem Glasfaser-Verbundwerkstoffen hergestellte Yacht verbindet italienisches Design und Schnelligkeit mit effizientem Recycling am Ende des Lebenszyklus. Der Ecoracer wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem European Yacht of the Year Award der boot Düsseldorf. Die Vision von nlcomp geht über den Bootsmarkt hinaus und umfasst eine breite Anwendung nachhaltiger Materialien in verschiedenen Branchen wie etwa der Windkraft.
Auch andere Bereiche des Marina-Alltags sind Träger von Innovationen. Roberto Zago von INGEMAR Schwimmstegen berichtete über „Zero Impact“-Schwimmstege durch die Nutzung nachhaltiger Materialien, effizienter Produktionsmethoden und recyclingfähiger Baustoffe. Plus Marine mit Franco Ceroici wiederum stellte Strom- und Wassersäulen für den Einsatz am Steg vor, die es erlauben, den Verbrauch exakt zu messen und Verschwendung von Ressourcen zu reduzieren.
Pragmatismus und Tourismus ergänzen sich
Notwendig seien, darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Gennaro Coretti, einem der fünf Geschäftsführer des Netzwerks FVG Marinas, einig, nicht nur die sofortige Umsetzbarkeit von Ideen für kleine und mittlere Marinas, bevor die Techniken auch für große Häfen genutzt werden können. Pragmatische Schritte im Kleinen könnten nämlich als Startschuss Veränderungen in großen Dimensionen bewirken.
Ein Beispiel hierfür ist vielleicht das Projekt e-NOW, eines Herstellers von effizienten eBike-Ladestationen für den Gebrauch in touristisch geprägten Destinationen mit umfangreichen Radnetz wie etwa Lignano Sabbiadoro oder dem Alpe-Adria Radweg zwischen Salzburg und Grado, den immer mehr eBike-Nutzer befahren. Warum nicht den Akku mehrerer eBikes auf einmal aufladen und die Räder dabei sicher parken – eine Idee, die dem Trendsport eBike und auch dem Verleih weiter Aufwind verschafft.
Das Meer ist für alle da: Inklusion aus Überzeugung
Ein kleiner, für Betroffene aber überaus relevanter Schritt, ist die Überwindung des Abstands zwischen Schiff und Steg. Eine herkömmliche Passerella ist für Rollstuhlfahrer nicht befahrbar, darauf wurde Marco Rossato nicht müde hinzuweisen. Er selbst war der erste querschnittsgelähmte Segler, der Italien einhand umsegelte und träumt realistisch von einem Meer ohne Limitierungen. MADEIT4A ermöglicht genau dies: technische Beratungen und Entwürfe für die barrierefreie Nautik.
Ist all dies genug? „Langsam zu gewinnen, bedeutet zu verlieren“, darauf wies eindringlich Michele Tonzar von Legambiente, eine der größten Umweltorganisationen Italiens, hin und setzte damit einen Kontrapunkt im Fachgespräch der Anwesenden. Doch laut Luigi Bottos, Kopf von RINA, eines Unternehmens, das unter anderem Bau sowie Wartung von Schiffen überwacht, verursacht die Nautik 0,3 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Unter diesem Aspekt seien die Anstrengungen der Marinas für Nachhaltigkeit bereits auf hohem Niveau, was Auszeichnungen, wie die Blaue Flagge oder die Blue Marina Awards auch auszeichnen würden.
Marco Da Re von der Marina Punta Gabbiani Resort im benachbarten Lignano, selbst Inhaber der Blauen Flagge, erzählte dann auch nebenbei im Gespräch vom elektrisch angetriebenen 30-Tonnen-Kran in der Marina. Der Vorteil: keine Abgase, Zuverlässigkeit und die sonst leeren Plätze in der Nähe der Einwasserungsbecken konnten nun mit Booten belegt werden. Denn das herausragende Merkmal des Elektro-Krans ist: Er macht keinen Lärm. Auch das ist Engagement für die Umwelt.
Blue Marina Awards: Begehrte Auszeichnung für Nachhaltigkeit
Die Blue Marina Awards zeichnen Marinas, Häfen und Bootsanleger aus, die strenge Kriterien im Bereich des ESG-Managements (Umwelt, Soziales und Governance – Unternehmensführung) erfüllen. Dazu gehören Aspekte wie die Förderung der Region, die Bereitstellung erstklassiger touristischer Dienstleistungen, innovative Ansätze sowie Sicherheitsstandards. Noch bis zum 18.10.2024 können sich italienische Marinas für diese erst seit 3 Jahren bestehende Auszeichnung bewerben, die zudem in den Kategorien Innovation, Sicherheit, Nachhaltigkeit sowie Gastfreundschaft im Tourismus vergeben werden. Die Prämierung findet am 15. November statt.
Walter Vassallo, Gründer und Koordinator hinter den Blue Marina Awards, treibt vor allem eine Vision an: „Die Blue Marina Awards sind ein Weg zu nachhaltigem Wachstum für alle Marinas.“ Mittelfristig könnten die Blue Marina Awards für die Exzellenz nicht nur italienischer Marinas stehen, sondern offen für die Beteiligung auf internationaler Ebene werden.
Die ADAC Stützpunktmarina Sant’Andrea wurde im vergangenen Jahr mit den Blue Marina Awards ausgezeichnet. Daneben trägt sie – ebenso wie 11 weitere Marinas im Netzwerk der FVG Marinas – seit Jahren die Auszeichnung Blaue Flagge der F.E.E. für herausragendes Umweltengagement. Gemessen an der Küstenlänge von 96 Kilometern besitzt die Küste Friaul-Julisch Venetiens zudem die höchste Dichte an Blauen Flaggen der F.E.E. Italiens.
Titelbild: Mario Andretta (Eigner der Marina Sant’Andrea), Fortunato Moratto (Marinaleiter), Pietro Del Frate (Bürgermeister San Giorgio di Nogaro), Gennaro Coretti (Darsena San Marco), Walter Vassallo (Gründer Blue Marina Awards), Marco Da Re (Marina Punta Gabbiani) (© Susanne Guidera)