Verhaltensempfehlungen bei Orca Begegnungen

Steigende Zahl von Orca Angriffen im Atlantik

Weltweit gibt es bis heute keinen einzigen bekannten Fall, in dem Schwertwale (Orcinus Orca) in freier Wildbahn Menschen angegriffen haben. Dennoch werden die Meeressäuger – vermutlich wegen ihrer imposanten Erscheinung – neben der Bezeichnung „Orcas“ auch „Killerwale“ oder „Mörderwale“ genannt. Die sehr plakativen Namen unterstreichen in der allgemeinen Wahrnehmung die derzeitigen Vorfälle an der portugiesischen und spanischen Küste: seit dem letzten Jahr wurden über 100 Vorfälle gezählt, in denen Orcas vor allem Segelyachten große Probleme bereiteten. Auch Fischerboote und Ribs waren vereinzelt betroffen.  Teilweise wurden die Boote gerammt und geradezu gejagt, teilweise entstanden erhebliche und gefährliche Schäden, wie abgerissene oder gebrochene Ruderblätter. Im August wurde vor der südspanischen Küste ein Sperrgebiet eingerichtet, um weitere Havarien möglichst zu vermeiden, im Jahr zuvor war ein Gebiet vorm Cap Finisterre betroffen und abgesperrt worden.

Skipper und Crews berichten von den Angriffen, schildern, wie die Meeressäuger plötzlich im Rudel auftauchen, das Boot rammen, es umherschieben und es unkontrollierbar machen. Auf Youtube und anderen Kanälen tauchen immer mehr Videos und Fotos von Bord der betroffenen Yachten auf.

Viele Segelcrews sind derzeit sehr verunsichert, die Wissenschaftler rätseln über die Gründe, in vielen Boulevard-Medien wird das Thema sehr drastisch dargestellt, Überschriften wie „Angriff der Killerwale“ sind nicht selten. Entsprechend die Reaktionen in den sozialen Medien, wo von GPS-Markierungen bis zum Abschuss der Tiere vieles gefordert wird. Vor allem liest man immer häufiger die These, es sei „die Rache der Natur“ am Menschen.

Auf der Website der Arbeitsgruppe der Atlantischen Orcas (GTOA) zeigt eine interaktive Karte der letzten Vorfälle.

Was aber könnten die wahren Gründe für die so zahlreichen Übergriffe sein? Aber vor allem stellt sich die Frage: Wie reagiert man an Bord, wenn die Orcas kommen?

Video von Orca Angriff bei Gibraltar

Mögliche Gründe der Attacken

Schilderungen, Augenzeugenberichte und Videos hinterlassen durch die Wucht der Tiere oftmals den Eindruck eines gezielten Angriffs, Bilder von abgerissenen Ruderblättern vermitteln das Gefühl die Orcas würden äußerst aggressiv vorgehen und die Yachten nahezu jagen und als Feinde ansehen. Es ist aber keinesfalls erwiesen, warum es immer häufiger zu den Vorfällen kommt. Die Analysen und Auswertungen der Videos und Fotos lassen allerdings mittlerweile viele Meeresbiologen zum Schluss kommen, dass es sich dabei eher um eine spielerische Handlung von Jungtieren handeln könne. Die Auswertung der Bilder und Filme haben in dem Gebiet ergeben, dass es sich oftmals um die immer gleichen Populationen von Orcas handelt – halbstarke Jungtiere, die ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen und die Yachten nicht als Fressfeinde, sondern als reizvolles Spielzeug ansehen. Weltweit sind sich viele Meeresbiologen einig, dass ein gezielter Angriff anders ablaufen würde und vor allem stärkere Schäden an den Booten zur Folge hätten. Schwertwale sind intelligente Jäger, die mit sehr ausgeklügelten Strategien vorgehen. Bei den Vorfällen im Atlantik greifen die Orcas indes fast nur von hinten an und vor allem die Ruderblätter scheinen ihren Reiz auszuüben.

Die Wale befinden sich während der Angriffe offenbar auf dem Weg zur Jagd auf eines ihrer bevorzugten Beutetiere, dem Thunfisch. Daher entsprechen die Orte der Vorfälle mit Yachten auch der Zugbahn der Thunfische.

 

Statement der GTOA zur problematischen Orca-Population

Die Schwertwale in der Straße von Gibraltar unterscheiden sich von anderen Teilpopulationen im Nordostatlantik, basierend auf Untersuchungen von Fotoidentifikationsdaten, mitochondrieller DNA, genetischen Mikrosatelliten-Markern, stabilen Isotopenverhältnissen und Schadstoffbelastungen (Esteban et al. 2016a). Diese kleine Teilpopulation mit einer geringen Anzahl geschlechtsreifer Individuen ist stark von einer gefährdeten Beutetierart, dem Roten Thun, abhängig (García-Tíscar 2009)

 

Karte der Vorfälle in 2021

Karte Orca Angriffe (GTOA)
Quelle Karte: GTOA Website, Screenshot

Verhaltensregeln bei Orca-Begegnungen

Die Arbeitsgruppe GTOA hat ein Sicherheitsprotokoll veröffentlicht, in dem Empfehlungen für das Verhalten an Bord gegeben werden, wenn es zu einer Begegnung mit Orcas auf See kommen sollte.

 

  • Sofort das Boot stoppen, Segel bergen, Autopilot abstellen, Steuerrad locker lassen (wenn es die Verhältnisse erlauben)
  • Behörden kontaktieren (UKW-Kanal 16 bzw per Telefon 112)
  • Hände vom Steuerrad nehmen. Sich von allen Teilen des Bootes fernhalten, die brechen oder herunterfallen können
  • Die Tiere nicht anschreien, oder laute Geräusche wie Pfeifen machen, sie nicht mit Gegenständen berühren, keine Gegenstände werfen, keine wilden Bewegungen im Blickfeld der Orcas machen
  • Fotos und Videos machen, vor allem von den Rückenflossen, die zur eindeutigen Identifizierung der Wale dienen
  • Erst nach einer Weile, wenn Sie keinen Druck oder Stöße auf das Ruder spüren, prüfen Sie, ob es sich dreht und funktioniert
  • Bei festgestellter Manövrierbehinderung Schleppdienst rufen
  • Notieren Sie: Name des Boots, Datum/Uhrzeit, GPS-Position

 

Safety Protocol der GTOA

Verhaltensregeln bei Orca Kontakt -orcaiberia
Bild: © GTOA Website, Screenshot
Titelbild: Wolfgang Lucht via Pixabay

Update zu Verhaltensempfehlungen (Stand September 2023)

Aufgrund neuer Erkenntnisse und Forschungsergebnisse hat die spanische Regierung die Verhaltensempfehlungen wesentlich geändert:

„Empfehlungen für Schiffsführer, wenn Schwertwale mit dem Schiff interagieren

Wenn man während der Fahrt auf Schwertwale oder andere Wale trifft und die Schwertwale mit dem Schiff interagieren, muss der Schiffsführer des Schiffes, soweit möglich und sofern sie keine größere Gefahr darstellen, folgenden Maßnahme ergreifen:

  1. Verhinderung der Annäherung der an Bord befindlichen Personen an die Reling, indem sichergestellt wird, dass sie sich an Orten aufhalten, die den größtmöglichen Schutz vor plötzlichen Bewegungen, die zu Verletzungen oder einem Sturz ins Meer führen könnten, und vor Schlägen durch … bewegliche Teile (wie Großbaum, Anm. d. Verf.) bieten.
  2. Im Falle eines Zusammentreffens ist es immer besser, zu motoren als zu segeln, das Boot nicht zu stoppen und in gerader Linie mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, immer im Rahmen der Sicherheitsreserven des Bootes und der Wind- und Seebedingungen, in Richtung flacherer Gewässer zu fahren, bis die Schwertwale das Interesse verlieren.
  3. Bei Schiffen unter Segel ist auch zu bedenken, dass der Kiel beeinträchtigt werden könnte, was sich auf die Stabilität des Schiffes auswirken könnte, und es wird daher empfohlen, die Segel wegzunehmen und unter Maschine zu fahren.
  4. Es wird empfohlen, innerhalb der Sicherheitsgrenzen jedes Schiffes so nah wie möglich an der Küste zu fahren, insbesondere in der Nähe der Bucht von Barbate, wo die Wahrscheinlichkeit, auf Gruppen von Schwertwalen zu treffen, geringer ist. (Barbate ist ein Hotspot; gemeint ist, dass bei Umfahren der Almadraba vor Barbate zwischen Hafenmole und Nordtonne der Almadraba eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für Interaktionen besteht. Auf der küstennahen Passage hat es noch keinen Vorfall gegeben, Anm. d. Verf.)
  5. Jedes Schiff oder Boot, das die Anwesenheit von Schwertwalen oder anderen Walen beobachtet, unabhängig davon, ob es zu Interaktionen kommt oder nicht, muss sich strikt an die Bestimmungen des Königlichen Erlasses 1727/2007 vom 21. Dezember halten, der Maßnahmen zum Schutz der Wale festlegt, insbesondere solche, die darauf abzielen, Verhaltensweisen zu vermeiden, die Tod, Schaden, Belästigung oder Unbehagen für Wale verursachen können, und im Allgemeinen jedes der in den Artikeln 4 und 5 des genannten Königlichen Erlasses genannten Verhaltensweisen.
  6. Die an der Begegnung beteiligten Schwertwale sind zu beobachten und, wenn möglich, zu fotografieren. Die Beobachtungsaktivitäten müssen unter Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen und der Verpflichtungen der guten Seemannspraxis durchgeführt werden, ohne Beeinträchtigung der Ausübung von Entscheidungen, die für die Sicherheit der Schifffahrt notwendig sind, und nur, wenn dies möglich und sicher ist, ohne das Schiff oder Boot, die Personen an Bord oder die Wale größeren Risiken auszusetzen.
  7. Was auch immer an neueren Anweisungen oder Empfehlungen besteht, sollte an Seeleute weitergegeben werden.
  8. Es wird daran erinnert, dass jeder Schiffer/Kapitän verpflichtet ist, Ereignisse zu melden, die eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen könnten, und dass daher Interaktionen mit Schwertwalen über die entsprechende Koordinierungsstelle für den Seerettungsdienst gemeldet werden sollten.“

Hier geht’s zum Originaltext in spanischer Sprache

(Hinweis auf dieses Update und Übersetzung: Martin Birkhoff, Trans-Ocean-Stützpunktleiter, SY Mago del Sur)