Verhaltensempfehlungen bei Orca Begegnungen

Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen Orcas Boote oder Segelyachten angreifen. Doch wie reagiert man an Bord im Falle eines Orca-Angriffs? Mögliche Gründe für die Angriffe und die wichtigsten Verhaltenstipps im Überblick.

Seit 2020 häufen sich vor der Küste der iberischen Halbinsel Vorfälle, in denen Orcas Boote oder Segelyachten angreifen und teils erhebliche Schäden anrichten. Ein Faktor, der derzeit viele Segelcrews  verunsichert. Die Wissenschaftler rätseln über die Gründe. In vielen Boulevard-Medien wird das Thema sehr drastisch dargestellt – Überschriften wie „Angriff der Killerwale“ sind nicht selten. Entsprechend die Reaktionen in den sozialen Medien, wo von GPS-Markierungen bis zum Abschuss der Tiere vieles gefordert wird. Vor allem liest man immer häufiger die These, es sei „die Rache der Natur“ am Menschen.

Doch sind Orcas wirklich so gefährlich? Und wie sollten Skipper an Bord reagieren, wenn die Orcas kommen?

Inhaltsverzeichnis

Wie gefährlich sind Orcas?

Weltweit gibt es bis heute keinen einzigen bekannten Fall, in dem Schwertwale (Orcinus Orca) in freier Wildbahn Menschen angegriffen haben. 2020 wurden an einem Strand in Galizien mehrere Orcas zwischen Surfern gesichtet, ohne dass es zu Zwischenfällen oder gar Angriffen kam. Entgegen einer häufig auftretenden Meinung stehen weder Robben noch andere Tiere, die mit Menschen verwechselt werden könnten, auf der Speiseliste vom Orcinus Orca.

Dennoch werden die Meeressäuger – vermutlich wegen ihrer imposanten Erscheinung – neben der Bezeichnung „Orcas“ auch „Killerwale“ oder „Mörderwale“ genannt. Die sehr plakativen Namen unterstreichen in der allgemeinen Wahrnehmung die derzeitigen Vorfälle an der portugiesischen und spanischen Küste.

Angriffe von Orcas auf Segelyachten

Seit 2020 wurden im Küstengebiet vor Spanien und Portugal mehrere hundert Vorfälle gezählt, in denen Orcas vor allem Segelyachten große Probleme bereiteten. Auch Fischerboote und Ribs waren vereinzelt betroffen.  Teilweise wurden die Boote gerammt und geradezu gejagt, teilweise entstanden erhebliche und gefährliche Schäden, wie abgerissene oder gebrochene Ruderblätter. Es gab sogar bereits Totalverluste durch Wassereinbrüche nach den Angriffen auf die Ruderblätter. Zeitweise wurde vor der südspanischen Küste ein Sperrgebiet eingerichtet, um weitere Havarien möglichst zu vermeiden. Zuvor war ein Gebiet vor dem Cap Finisterre betroffen und abgesperrt worden.

Skipper und Crews berichten von den Angriffen: Sie schildern, wie die Meeressäuger plötzlich im Rudel auftauchen, das Boot rammen, es umherschieben und es unkontrollierbar machen. Auf Youtube und anderen Kanälen tauchen immer mehr Videos und Fotos von Bord der betroffenen Yachten auf. In den sozialen Medien gibt es Gruppen und Communities, in denen Skipper über Sichtungen und Vorfälle berichten.

Auf der Website der Arbeitsgruppe zu Atlantischen Orcas (GTOA) werden seit 2020 registrierte Orca-Übergriffe auf einer interaktiven Karte dokumentiert, sowie eine Übersichtskarte der Vorfälle in Echtzeit.

Registrierte Orca Interaktionen Februar-März 2024

Übersichtskarte Orca Angriffe 2024
Quelle Karte: GTOA Website, Screenshot

Mögliche Ursachen für die Orca-Angriffe

Schilderungen, Augenzeugenberichte und Videos hinterlassen durch die Wucht der Tiere oftmals den Eindruck eines gezielten Angriffs. Bilder von abgerissenen Ruderblättern vermitteln das Gefühl die Orcas würden äußerst aggressiv vorgehen und die Yachten nahezu jagen und als Feinde ansehen. Es ist aber keinesfalls erwiesen, warum es immer häufiger zu den Vorfällen kommt.

Die Analysen und Auswertungen der Videos und Fotos lassen allerdings mittlerweile viele Meeresbiologen zum Schluss kommen, dass es sich dabei eher um eine spielerische Handlung von Jungtieren handeln könne. Die Auswertung der Bilder und Filme haben in dem Gebiet ergeben, dass es sich oftmals um die immer gleichen Populationen von Orcas handelt – halbstarke Jungtiere, die ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen und die Yachten nicht als Fressfeinde, sondern als reizvolles Spielzeug ansehen.

Weltweit sind sich viele Meeresbiologen einig, dass ein gezielter Angriff anders ablaufen würde und vor allem stärkere Schäden an den Booten zur Folge hätten. Schwertwale sind intelligente Jäger, die mit sehr ausgeklügelten Strategien vorgehen. Bei den Vorfällen im Atlantik greifen die Orcas indes fast nur von hinten an und vor allem die Ruderblätter scheinen ihren Reiz auszuüben. Daher gibt es einige Berichte, bei denen die Wale das Interesse verloren, nachdem die Boote gestoppt, der Autopilot deaktiviert und das Ruder locker gelassen wurde.

Auch bei der Deutschen Stiftung Meeresschutz geht man nicht von gezielten Angriffen aus:

„Das Ganze hat sich anscheinend verselbstständigt. Der ursprüngliche Auslöser spielt wahrscheinlich keine Rolle mehr. Sie machen das, weil sie es können und weil es ihnen in irgendeiner Form Freude bereitet. Vielleicht trainieren sie mit diesen mehr als ungewöhnlichen Aktionen auch den sozialen Zusammenhalt oder es sind Koordinationsübungen, ähnlich wie beim Fußballtraining in Kleingruppen“ (Ulrich Karlowski, Deutsche Stiftung Meeresschutz)

Nachdem die Orca-Vorfälle über den Zeitraum von nunmehr vier Jahren nicht ab- sondern eher zunehmen, ist davon auszugehen, dass es sich nicht um ein vorübergehendes Verhalten handelt.

Die Wale befinden sich während der Angriffe offenbar auf dem Weg zur Jagd auf eines ihrer bevorzugten Beutetiere, dem Thunfisch. Daher entsprechen die Orte der Vorfälle mit Yachten auch der Zugbahn der Thunfische.

Verhaltensempfehlungen bei Orca-Begegnungen in der Übersicht

Sowohl die Gründe für die Übergriffe von Orcas auf Yachten als auch die Verhaltensregeln sind noch immer unklar, weshalb es derzeit keine einheitlichen Verhaltensregeln oder -empfehlungen gibt. Mehrere Institutionen haben Verhaltensempfehlungen veröffentlicht, darunter

  • die spanische Regierung
  • die GTOA
  • die englische Cruising Association (CA)

Die jeweiligen Empfehlungen unterscheiden sich teils sogar drastisch. Nachfolgend die Empfehlungen im Detail.

Empfehlungen der Arbeitsgruppe GTOA

Die Arbeitsgruppe GTOA hat ein Sicherheitsprotokoll veröffentlicht, in dem Empfehlungen für das Verhalten an Bord gegeben werden, wenn es zu einer Begegnung mit Orcas auf See kommen sollte.

  • Wenn es Seegang, Situation und Position zulassen, verlangsamen Sie das Tempo, stoppen Sie den Motor (bergen Sie die Segel), schalten Sie den Autopiloten aus und lassen Sie das Ruder auf Kurs
  • Nehmen Sie Kontakt mit dem Funkkanal 112/16 oder dem Revierleiter auf (Tarifa 10; Tanger 69; Fisterra 16)
  • Nehmen Sie die Hände vom Steuerrad und berühren Sie es nicht, entfernen Sie sich von allen Teilen des Schiffes, die fallen oder sich stark drehen könnten
  • Lassen Sie das UKW eingeschaltet
  • Wenn Sie ein Fotohandy oder ein anderes Gerät haben, nehmen Sie die Tiere auf, insbesondere ihre Rückenflossen, um sie später identifizieren zu können
  • Wenn Sie nach einer Weile keinen Druck auf das Ruder spüren und die Tiere sich entfernt haben, prüfen Sie, ob es sich dreht und funktioniert
  • Wenn Sie einen Schaden feststellen, der eine sichere Weiterfahrt gefährdet, fordern Sie ein Abschleppen an
  • Melden Sie den Orca-Kontakt den Spezialisten und den Behörden
  • Grundlegende Informationen zur Übermittlung an die Behörden: Name des Bootes – Datum und Uhrzeit – Kontakt (Telefon / E-Mail) – Position (GPS). Fotos der Rückenflossen, um die Orcas zu identifizieren.

Darüber hinaus hat die GTOA auf ihrer Website auch eine Ampelkarte veröffentlicht, auf der regelmäßig Risikogebiete für Orca-Angriffe ausgewiesen werden.

Orca Übergriffe: Risiko Ampelkarte der GTOA
Die Ampelkarte der GTOA mit aktuellen Risikogebieten. Foto: © GTOA Website, Screenshot

Empfehlungen der spanischen Regierung bei Orca-Angriffen

Die spanische Regierung indes rät dazu in ihren 2023 veröffentlichten Verhaltensempfehlungen bei Orca-Kontakt (Originaltext in spanischer Sprache), das Boot nicht anzuhalten, sondern mit Motor möglichst schnell in flachere Gewässer zu fahren. Im Einzelnen lauten die Empfehlungen wie folgt:

„Empfehlungen für Schiffsführer, wenn Schwertwale mit dem Schiff interagieren

Wenn man während der Fahrt auf Schwertwale oder andere Wale trifft und die Schwertwale mit dem Schiff interagieren, muss der Schiffsführer des Schiffes, soweit möglich und sofern sie keine größere Gefahr darstellen, folgenden Maßnahme ergreifen:

  • Verhinderung der Annäherung der an Bord befindlichen Personen an die Reling, indem sichergestellt wird, dass sie sich an Orten aufhalten, die den größtmöglichen Schutz vor plötzlichen Bewegungen, die zu Verletzungen oder einem Sturz ins Meer führen könnten, und vor Schlägen durch … bewegliche Teile (wie Großbaum, Anm. d. Verf.) bieten.
  • Im Falle eines Zusammentreffens ist es immer besser, zu motoren als zu segeln, das Boot nicht zu stoppen und in gerader Linie mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit, immer im Rahmen der Sicherheitsreserven des Bootes und der Wind- und Seebedingungen, in Richtung flacherer Gewässer zu fahren, bis die Schwertwale das Interesse verlieren.
  • Bei Schiffen unter Segel ist auch zu bedenken, dass der Kiel beeinträchtigt werden könnte, was sich auf die Stabilität des Schiffes auswirken könnte, und es wird daher empfohlen, die Segel wegzunehmen und unter Maschine zu fahren.
  • Es wird empfohlen, innerhalb der Sicherheitsgrenzen jedes Schiffes so nah wie möglich an der Küste zu fahren, insbesondere in der Nähe der Bucht von Barbate, wo die Wahrscheinlichkeit, auf Gruppen von Schwertwalen zu treffen, geringer ist. (Barbate ist ein Hotspot; gemeint ist, dass bei Umfahren der Almadraba vor Barbate zwischen Hafenmole und Nordtonne der Almadraba eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit für Interaktionen besteht. Auf der küstennahen Passage hat es noch keinen Vorfall gegeben, Anm. d. Verf.)
  • Jedes Schiff oder Boot, das die Anwesenheit von Schwertwalen oder anderen Walen beobachtet, unabhängig davon, ob es zu Interaktionen kommt oder nicht, muss sich strikt an die Bestimmungen des Königlichen Erlasses 1727/2007 vom 21. Dezember halten, der Maßnahmen zum Schutz der Wale festlegt, insbesondere solche, die darauf abzielen, Verhaltensweisen zu vermeiden, die Tod, Schaden, Belästigung oder Unbehagen für Wale verursachen können, und im Allgemeinen jedes der in den Artikeln 4 und 5 des genannten Königlichen Erlasses genannten Verhaltensweisen.
  • Die an der Begegnung beteiligten Schwertwale sind zu beobachten und, wenn möglich, zu fotografieren. Die Beobachtungsaktivitäten müssen unter Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen und der Verpflichtungen der guten Seemannspraxis durchgeführt werden, ohne Beeinträchtigung der Ausübung von Entscheidungen, die für die Sicherheit der Schifffahrt notwendig sind, und nur, wenn dies möglich und sicher ist, ohne das Schiff oder Boot, die Personen an Bord oder die Wale größeren Risiken auszusetzen.
  • Was auch immer an neueren Anweisungen oder Empfehlungen besteht, sollte an Seeleute weitergegeben werden.
  • Es wird daran erinnert, dass jeder Skipper/Kapitän verpflichtet ist, Ereignisse zu melden, die eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen könnten, und dass daher Interaktionen mit Schwertwalen über die entsprechende Koordinierungsstelle für den Seerettungsdienst gemeldet werden sollten.“

(Hinweis auf dieses Update und Übersetzung: Martin Birkhoff, Trans-Ocean-Stützpunktleiter, SY Mago del Sur)

Sicherheitshinweise der britischen Cruising Association

Die englische Cruising Association (CA) hat eine Checkliste mit Sicherheitshinweisen für Segler veröffentlicht:

  • Halten Sie sich von bekannten Orca-Standorten fern, indem Sie die neuesten GTOA-Interaktionskarten, Facebook-Gruppen (wie Orca Attack Reports) und Melde-Apps prüfen
  • Befolgen Sie das Sicherheitsprotokoll der GTOA und die angeführten Abschreckungsmaßnahmen
  • Untersuchen Sie die von Skippern ergriffenen Maßnahmen zur Abschreckung von Orca-Interaktionen, indem Sie auf die Orca-Meldedatenbank der Cruising Association und die Bibliothek mit Kommentaren zu Interaktionen zugreifen
  • Machen Sie sich mit den Notdiensten vertraut: UKW-Kanal 16, Telefon 112 und die Kontaktdaten der Koordinierungsstelle für die Seenotrettung, des Seenotrettungsdienstes und der Küstenwache in den Gewässern, die Sie durchfahren, Telefon: Frankreich 196/Portugal 112/Spanien 900 202 202
  • Unabhängig davon, ob Sie eine Interaktion oder eine ereignislose Passage erleben, senden Sie einen Bericht an die Berichtsdatenbank der CA

Orca Melde-Apps

Neben den verschiedenen Sicherheitshinweisen sind zwei Apps nützlich und hilfreich, mit denen Orca-Angriffe gemeldet und gesichtet werden können. Denn Skipper, die wissen, wo sich die Orcas derzeit aufhalten, können diese Gebiete sicher umfahren. Folgende Apps sollten Skipper und Crews in den betroffenen Seegebieten immer kontrollieren:

GT Orcas

Orcinus

Zusammenfassung und Fazit: Orca-Angriffe vor der iberischen Halbinsel

Ein Fazit ist immer dann gut, wenn es zu einer abschließenden Bewertung kommen kann. Im Falle der Orca-Übergriffe vor der iberischen Halbinsel ist jedoch keine gesicherte Erkenntnis vorhanden. Viele Fälle sind unterschiedlich. Vor allem die Berichte der Skipper über erfolglose oder erfolgreiche Abwehrversuche unterscheiden sich sehr. Auch ist nicht gesichert zu sagen, was die Meeressäuger dazu bewegt, plötzlich auf Boote so zu reagieren, wie sie es seit 2020 tun.

Die Crux an der Sache: Einerseits hofft jeder Skipper, keinen Kontakt oder Vorfall mit Orcas zu haben. Andererseits ermöglicht nur eine über einen längeren Zeitraum gesicherte Datenlage Verhaltensforschern und Meeresbiologen, Gründe für die Übergriffe zu finden und vor allem möglichst sichere Verhaltensempfehlungen zu geben.

Das bedeutet: Je mehr Vorfälle es gibt und je mehr davon möglichst detailliert dokumentiert werden, desto eindeutigere Schlüsse können gezogen werden.

Aufgrund der bislang vorliegenden Erkenntnisse und Informationsmöglichkeiten hier zusammenfassend eine Liste mit Empfehlungen:

  • Informieren Sie sich vor Abfahrt in die betroffene Region per App oder auf der Ampelkarte der GTOA über die derzeitige Situation und Sichtungsmeldungen
  • Bei roter Ampel und hoher Aktivität planen Sie ihren Törn ggf. um
  • Wenn es das Wetter zulässt, fahren sie in flacheren Gewässern entlang der Küste. Achtung: Bei starkem auflandigen Wind wird geraten, sich außerhalb des Kontinentalschelfs zu bewegen, da in flacheren Gebieten ein gefährlicher Seegang enstehen kann. Daher ist dieser Ratschlag immer wetterabhängig
  • Beachten Sie stets die neuesten Verhaltensempfehlungen der GTOA und der spanischen Regierung. es erfolgen je nach Datenlage ständig neue Updates aufgrund neuer Erkenntnisse
  • Besprechen Sie mit der Crew das Verhalten an Bord bei Orca-Kontakt und teilen Sie entsprechende Rollen ein
  • Verzichten Sie auf selbstgemachte Orca-Abwehrsysteme